Ein Ausnahmemediziner: der Neurochirurg Madjid Samii

von Norbert Lossau,
Artikel erschienen am 8. Juli 2004 in der Welt

Eigentlich hatte der in Teheran geborene Madjid Samii Medizin in Stanford studieren wollen. Doch dann änderte ein Besuch bei seiner bereits in Mainz studierenden älteren Schwester im Jahr 1957 spontan seine Pläne. Binnen einer Woche war er eingeschriebener Student an der Johann-Gutenberg-Universität in Mainz.

Heute ist der Neurochirurg Professor Samii (67) Direktor des International Neuroscience Institute (INI) in Hannover und seit vielen Jahren anerkanntermaßen die Nummer eins seiner Zunft in Deutschland. Seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen haben ihm eine schier endlose Folge von Ehrungen bis hin zum Bundesverdienstkreuz eingebracht. Morgen nun erhält er in Montreal den Medizinpreis des Royal College of Physicians. Dieser seit 1960 jährlich verliehene Preis ging noch nie an einen deutschsprachigen Wissenschaftler. Samii, der die deutsche und auch iranische Staatsbürgerschaft besitzt, ist Mitglied von medizinischen Gesellschaften in 80 Ländern der Erde und trägt die Ehrendoktorwürde von acht Universitäten. Seine Arbeit in Forschung und Lehre sowie mehr als 20 000 persönlich durchgeführte neurochirurgische Operationen haben diesen Ausnahmemediziner weltberühmt gemacht.

Als der junge Arzt Madjid Samii damit begann, Operationen in menschlichen Gehirnen durchzuführen, standen die wunderbaren Verfahren der Röntgen- oder Kernspintomographie, mit denen sich zum Beispiel Tumore im Hirn präzise aufspüren lassen, noch nicht zur Verfügung. Schwere Zeiten für einen Neurochirurgen. Samii entwickelte seinerzeit jedoch selber eine Röntgenmethode, bei der Luft in die äußeren Hohlräume des Gehirns gepumpt wurde, und so ein Kontrast auf Röntgenbildern des Gehirns erreicht werden konnte. Die modernen Tomographieverfahren haben diese Methode zwar inzwischen längst überflüssig gemacht, doch damals war sie ein sehr großer Fortschritt.

Der nächste große Durchbruch war die Anwendung von OP-Mikroskopen, mit deren Hilfe Samii ab 1967 die Chirurgie von Nerven und Gefäßen im Gehirn sehr viel schonender durchführen konnte. Er gründete 1970 eine Schule für Mikrochirurgie, in der er andere Mediziner in jährlichen Kursen in die Kunst der Mikrochirurgie einführt – bis heute.

Ein sehr wichtiges Forschungs- und Anwendungsgebiet im von Samii gegründeten INI, einem Gebäude von der Gestalt eines Gehirns, ist die Neurobionik, also die Verbindung von technischen Implantaten mit dem menschlichen Gehirn. Insgesamt 22 zuvor vollkommen tauben Patienten konnte durch eine Operation in Hannover das Gehör geschenkt werden. Ihnen wurde von Samii ein Mikrochip direkt in das Stammhirn implantiert und dort mit den Nervenzellen verbunden. Die lernfähige Elektronik rechnet die von einem Mikrofon kommenden Signale in die elektrische Signalsprache des Gehirns um.

Mit Biotechnik will Samii bald auch Querschnittsgelähmten helfen. Ein Mikrochip mit so genannten neuronalen Netzwerken soll die Signale aus dem Rückenmark so verarbeiten, dass dann die zum Stehen und Gehen benötigten Muskeln der Beine in geeigneter Weise elektrisch gereizt werden.

Doch Samii hat auch noch einen alternativen Ansatz im Blick. Durch so genannte Anti-Inhibitoren könnte die normalerweise bestehende Blockade des Nervenwachstums aufgehoben werden, so dass dann die bei einer Querschnittslähmung im Rückenmark unterbrochenen Nerven tatsächlich wieder zusammenwachsen könnten. Im Labor funktioniert das bereits, doch in der klinischen Praxis anwendbar ist diese hoffnungsvolle Technologie bislang noch nicht. „In fünf bis zehn Jahren könnte es aber gehen“, prophezeit Samii.

Die Implantation von embryonalen Stammzellen in das Gehirn – um zum Beispiel Parkinson zu behandeln – lehnt Samii indes strikt ab. Und dies nicht etwa aus ethischen Gründen, sondern auf Grund ganz pragmatischer medizinischer Überlegungen: „Ich weiß nicht, wie sich diese Zellen im Gehirn verhalten werden und zu welchen Veränderungen es dann kommen kann“, erklärt Samii.

Noch immer steht der Mediziner fünf Tage in der Woche durchschnittlich sieben Stunden im OP. Nimmt man den Aufwand für seine weltweiten Vortragsreisen, die bislang 400 Originalpublikationen und 15 Bücher sowie die Führung von mehr als 100 INI-Mitarbeitern hinzu, so kann man verstehen, dass er kaum Zeit für Urlaub und Hobbys hat. Samii liebt das Golfspiel und bringt es dort im Moment auf ein Handycap von 21. „Das ist nicht so besonders“, gibt er gern zu, „doch in der Neurochirurgie ist man ohne Handicap ganz gewiss viel besser.“